Woanders isset auch Scheisse.

Tourbericht aus dem Ruhrgebiet September 2013

 

Von Sebastian Fuchsberger.

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Im Jahr 2010 errang Essen stellvertretend für 53 andere Ruhrgebietskommunen den Titel "Kulturhauptstadt Europas 2010". Im Vorfeld war das der Anlass für einen Wettbewerb, in dem ein geeigneter Slogan gefunden werden sollte. "Woanders isset auch Scheisse" war einer der Vorschläge. Er wurde leider nicht ausgewählt, obwohl er in typisch schnoddriger Art, aber sehr ehrlich und durchaus selbstbewußt die Menschen hier charakerisiert.

 

Nach einem Drehbuch von Elke Heidenreich wurde 1980 eine 6-teilige Fernsehserie mit dem Titel "Tour de Ruhr" produziert und im Fernsehen präsentiert. Für viele Radfahrer, wie auch für mich war diese Serie damals die Initialzündung für einen Fahradurlaub. Doch Fahrradfahren ausgerechnet im Ruhrgebiet? Was macht die Region interessant für Fahrradfahrer?

 

 

Da sind zunächst einmal 2 Tourenklassiker:

 

Am westlichen Rand führt der Rheinradweg von der Wuppermündung bei Leverkusen über Düsseldorf bis zur Ruhrmündung und den Hafen von Duisburg.

 

Der Ruhrradweg führt mitten durch das Ruhrgebiet von der Quelle bei Winterberg im Sauerland bis zur Mündung in den Rhein. Der Fluß ist mittlerweile weitgehend saniert und renaturiert und wird auf die gesamte Länge von Radwegen begleitet. In 3-4 Tagen ist er zu erleben.

 

Daneben gibt es eine Reihe kleinerer Touren in Flußtälern, die einen aus süddeutscher Sicht nicht für möglich gehaltenen Grad von Attraktivität und Naturnähe aufweisen (z. B. Angerbachtal) oder die trotz früherer Nutzung und Übernutzung als Vorfluter, Energielieferant oder Wasserstrasse heute einen ganz eigenen Charme entwickelt haben (z. B. Wupper, Emscher).


Das attraktivste waren für mich allerdings die Bahntrassenwege. Nirgendwo in Deutschland sind Bahntrassen in einer solchen Dichte vorhanden. Viele dieser ehemaligen Personenverkehrs- und Industriegleisanlagen wurden zwischen 1960 und 1990 stillgelegt. Mit ihren maximal 3% Steigung sind sie für Radfahrer ideal. Die hohe Dichte der ehemaligen Bahngleise erlauben hier die Entwicklung eines regelrechten Netzes von Wegen auf ehemaligen Bahntrassen. Bei uns findet man dagegen bestenfalls einzelne Streckenabschnitte.

 

 

Als Beispiel für einen dieser tollen Bahntrassenwege sei die Nordbahntrasse in Wuppertal genannt. Wuppertal ist ein alter Industriestandort, früher mit mit vielen mittelständischen Unternehmen, die einen Bahnanschluß hatten. Die topographischen Bedingungen sind nicht einfach: das Tal der Wupper in Ost-West-Richtung ist tief eingeschnitten. Die Hauptachse der Bahn verläuft südlich der Wupper, auf der Nordseite verläuft eine aufgelassene, früher vorwiegend als Industriegleis genutzte Trasse. Erst 2006 erinnerte man sich an diese Trasse und widmete sie mit Unterstützung eines extra gegründeten Vereins, der Stadt, des Landes NRW, der EU und von Privatleuten nach und nach zu einem kombinierten Fuß- und Radweg um, der beispielhaft ist. Tunnels, Brücken, alte Bahnhöfe wurden restauriert und zu einer Trasse zusammengefügt, die sowohl für den Alltags- wie auch den Freizeitverkehr eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Für Wuppertal-Besucher, die an Verkehrspolitik interessiert sind oder für Radfahrer ist die Trasse ein absolutes "Muß".

 

 

 

Andererseits bietet Wuppertal wie viele andere Kommunen im Ruhrgebiet auch eine beachtliche Anzahl von städtebaulichen und verkehrspolitischen Grausamkeiten. Trotzdem: jede noch so marode Ruhrgebietskommune bietet mehr Fahrradinfrastruktur als die Kreisstadt unseres fahrradfreundlichen Landkreises Starnberg.

 

 

 

 

Wir waren im September 2013 eine Woche lang Gäste bei ADFC-Aktiven in Wuppertal. Die Woche war voll mit Tagestouren auf Wegen, die Ortsfremde so nicht finden würden. Vielen Dank.

 

Uns das muss man unbedingt gesehen haben:

  • Schwebebahn in Wuppertal: Leistungsfähiger Teil des öffentlichen Nahverkehrs, gleichzeitig größte touristische Attraktion der Stadt

  • Neanderthal-Museum in Mettmann bei Düsseldorf: Unseren nächsten Verwandten gewidmet, deren letzte Spuren dort entdeckt wurden. Leider haben sie die letzte Eiszeit nicht wie der Homo sapiens sapiens überlebt. Tolles Museumskonzept.

  • Zeche Zollverein Essen: hier schlug bis zuletzt das Herz der deutschen Schwer-Industrie. Unbedingt eine Führung durch die Kokerei mit Stefan Haas buchen.

  • Bahntrassenwege: die haben da nicht nur einzelne Strecken, sondern ein echtes Netz aus ehemaligen Bahntrassen. Das ist toll.

  • durchs Angerbachtal nach Düsseldorf: Natur pur, ab Kaiserswerth auf dem Rheinradweg aufwärts bis Düsseldorf. Uferpromenade, Mannesmannufer, Architektur von Frank Gehry im Medienhafen, zum Abschluß ein Pils oben auf den Fernsehturm mit traumhafter Sicht auf Rhein und Düsseldorf.

  • Hafenrundfahrt in Duisburg: größter Binnenhafen der Welt.

  • Villa Hügel in Essen: hier sind die Privaträume der Mächtigsten der Stahlbarone zu besichtigen: der Krupps. Kalter Protz in der Villa, dafür in einem phantastischen Park gelegen.

 

Wenn wir euer Interesse geweckt haben, lasst es uns wissen. Für das Jahr 2015 könnten wir eine große Wochentour in das Ruhrgebiet planen.

 

 

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